In den letzten Tagen habe ich über den Zusammenhang von Waldorf und Umschulung der Händigkeit geschrieben und gesprochen. Nachdem ich die anthroposophischen Ideen, die bis heute angebrachten Argumente pro Umschulung, die abweichende Entwicklung bei dem Thema im Vergleich zur gesamtgesellschaftlichen Haltung und meine eigenen Erfahrungen aufgezeigt habe, möchte ich jetzt in die Zukunft schauen. Ich habe mir die Frage gestellt: was braucht es jetzt?
Meine folgende Auflistung richtet sich an alle Waldorfinstitutionen wie Waldorfkindergärten, Waldorfschulen, der Vereinigung der Waldorfkindergärten, dem Bund der Freien Waldorfschulen, den Landesarbeitsgemeinschaften und den verschiedenen Lehr- und Ausbildungsinstituten sowie sämtlicher Forschungseinrichtungen zum Thema Waldorfpädagogik. Es richtet sich aber auch an alle Einzelpersonen im Waldorfkontext, unabhängig davon, ob es sich auf eigenes Verhalten oder das Verhalten aktueller oder früherer Kolleg*innen bezieht. Denn: es muss sich etwas ändern und das wird vermutlich weniger von denen ausgehen, die Umschulungen der Händigkeit nach wie vor befürworten oder dulden.
Meine 8 Forderungen
1. Anerkennung der Forschung zum Thema Linkshändigkeit und Umschulung
Es wird Zeit, dass die allgemeine Forschung von Waldorfseite anerkannt wird. Das beinhaltet insbesondere die Anerkennung von Linkshändigkeit als natürliche Varianz anstatt einer „karmischen Schwäche“, die Bedeutung der Händigkeit und die Schädlichkeit von Umschulungen, insbesondere beim Schreiben. Und das unabhängig von den angewendeten Umschulungsmethoden, denn eine Umschulung ist an sich schädlich und kann niemals „sanft“ sein. Zudem das Anerkennen der Umschulung als Körperverletzung.
2. Anerkennung dass Fehlverhalten stattgefunden hat und Umschulungen weit länger als nötig durchgeführt wurden
In Deutschland ist eine Umschulung seit mindestens Mitte der 1980er Jahre nicht mehr üblich. Trotzdem wurde sie in Waldorfkreisen weiter verteidigt und befürwortet. Spätestens seit eine Umschulung in 2002 als Körperverletzung eingestuft wurde hätten keinerlei Umschulungen mehr stattfinden dürfen. Dennoch wurden sie in Waldorfkreisen vielfach weiter verteidigt und durchgeführt. Dieses Fehlverhalten muss gesehen eingestanden werden.
3. Aufarbeitung der eigenen Geschichte bezüglich Linkshändigkeit und Umschulung
Beginnend bei den Ideen von Rudolf Steiner über die Aktivitäten von Waldorfakteuren zeitgleich zur veränderten Sicht auf Linkshändigkeit in der Gesellschaft bis hin zu aktuellen Akteuren die nach wie vor eine Umschulung befürworten. Die waldorfeigene Geschichte zum Thema Linkshändigkeit und Umschulungen muss aufgearbeitet werden. Dazu gehört auch eine Überprüfung der heute noch verwendeten Schriften auf Inhalte die eine Umschulung befürworten oder falsche Information zur Linkshändigkeit beinhalten.
4. Abkehr von der Unterscheidung zwischen Händigkeit und Seitigkeit beim Schreiben
Für das Schreiben ist die Händigkeit entscheidend. Die in Waldorfschulen und vom BdFWS bis heute andauernde Unterscheidung zwischen Händigkeit und Seitigkeit bei der Frage, mit welcher Hand geschrieben wird, muss aufhören. Ebenso alle Praktiken die dazu gedacht sind, eine „unklare Seitigkeit“ zu behandeln.
5. Distanzierung von Michaela Glöckler und ihren Texten, insbesondere in der Kindersprechstunde
Michaela Glöckler findet im Waldorfkontext trotz ihrer Entwicklung der letzten Jahre weiterhin breites Gehör, wird zu Veranstaltungen eingeladen und ihre Bücher werden nach wie vor empfohlen. Sie hat in der Kindersprechstunde in den letzten Jahrzehnten deutlich gezeigt, dass sie ihre Haltung zu Linkshändigkeit und Umschulung weder aufgrund neuer Forschungsergebnisse noch aufgrund persönlicher Berichte von Betroffenen ändert. Sie begründet das mit Steiners Ideen und der Waldorfpädagogik, welche sich auf diese beruft. Waldorfakteure müssen sich klar von diesen unwissenschaftlichen Äußerungen und der Person Michaela Glöckler distanzieren. Dadurch dass Glöckler in den letzten Jahren so viel Raum und Befürwortung von Seiten der Waldorfpädagogik erhalten hat (und nach wie vor erhält) ist hier eine Mitverantwortung für die Verbreitung ihrer Ideen gegeben. Eine fehlende Distanzierung bei gleichzeitiger Empfehlung ihrer Schriften kann daher nur als Zustimmung aufgefasst werden.
6. Breite Aufklärungskampagne
Die anthroposophischen Ideen zu Linkshändigkeit und Umschulung wurden so lange (teils bis heute) verbreitet und verteidigt, dass sie nach wie vor eine breite Anerkennung unter Waldorflehkräften, Waldorfeltern, anthroposophischen Therapeut*innen und Ärzt*innen erhält. Eine breite Aufklärungskampagne durch die großen Waldorfinstitutionen ist daher unbedingt erforderlich. Nur so kann erreicht werden, dass die falschen und schädlichen Ideen nicht weiter verbreitet werden und nicht weiter zu Umschulungen der Linkshändigkeit führen. In diesem Zuge sollte auch dringend mit der Idee aufgeräumt werden, dass linkshändige Lehrkräfte als Vorbild an der Tafel mit rechts schreiben sollen.
7. Entwicklung und Umsetzung eines aktiven Schutzkonzeptes
Neben einer Aufklärungskampagne braucht es ein verpflichtendes Schutzkonzept für alle Waldorfeinrichtungen. Nur so können weitere Umschulungen verhindert werden. Es braucht Anlaufstellen für Schüler*innen, Lehrkräfte, Eltern, anthroposophische Therapeut*innen und Ärzt*innen sowie für bereits im Waldorfkontext umgeschulte Linkshänder*innen. Hierfür sollte auch mit bereits bestehenden Beratungsstellen für Linkshänder*innern außerhalb der Waldorfpädagogik zusammen gearbeitet werden. So kann sichergestellt werden, dass die aktuellen Forschungsergebnisse berücksichtigt werden und eine tatsächliche Abkehr von den problematischen anthroposophischen Ideen zu dieser Thematik stattfindet. Das Schutzkonzept muss zukünftige Umschulungen verhindern sowie bereits umgeschulten Waldorfschüler*innen eine angemesse Unterstützung im Umgang mit der umgeschulten Linkshändigkeit sowie einer eventuellen Rückschulung an die Hand geben. Zudem sollte die Testung bei einer unklaren Händigkeit befürworten und Infos für eine Händigkeitstestung beinhalten.
8. Entschuldigung bei Betroffenen und Widergutmachung
In den letzten Jahrzehnten wurden in Waldorfkindergärten und Waldorfschulen viele linkshändige Kinder auf die rechte Hand umgeschult. Dadurch sind vielfach Leid und unnötige Herausforderungen entstanden. Das mindeste ist eine offizielle Entschuldigung bei allen Betroffenen. Mit Blick auf die oft tiefgreifenden und langanhaltenden Folgen einer umgeschulten Linkshändigkeit sollte auch über eine Wiedergutmachung nachgedacht werden.
Abschluss
Waldorfakteure beteuern immer wieder, dass sich Gewalt nicht mit der Waldorfpädagogik vertrage. Umschulung der Händigkeit gilt in Deutschland seit über 20 Jahren als Körperverletzung. Es kann also nur im Interesse der Waldorfpädagogik sein, die oben genannten Punkte umzusetzen.
Und hier richte ich mich noch einmal an alle Einzelpersonen im Waldorfkontext: als Kritiker*in der Waldorfpädagogik wird mir und meinem Anliegen von offizieller Stelle vermutlich nicht viel Beachtung geschenkt. Es ist also an euch, dieses Thema weiterzutragen und euch für die oben genannten Punkte stark zu machen.
Für mich gilt: Solange es keine breite und offene Auseinandersetzung mit dem Thema gibt sowie keine klare Haltung gegen Umschulungen gibt, gehe ich weiterhin davon aus, dass Umschulungen der Händigkeit befürwortet oder zumindest geduldet werden. Ein Totschweigen in der Hoffnung, dass es sich von alleine gibt, ist bei der Vergangenheit und der Verbreitung der Ideen nicht ausreichend oder angemessen.
https://www.waldorfshop.eu/suche?query=Linksh%C3%A4nder
Deine Antwort auf meine Forderungen ist also ein kommentarloser Link? Oh, ein Waldorfshop hat auch Scheren und Stifte für Linkshänder*innen im Angebot. Problem gelöst. Überraschung: es gibt sogar eine Waldorfschule (von über 250 in D) die auf Barbara Sattler verweist und in der Erziehungskunst gibt es einen Text zu Instrumenten für Linkshänder*innen.
Nichts davon wird diese Situation verändern. Was ich nun wirklich ausführlich dargelegt habe.
Ich bin mir nicht sicher, ob du es nicht verstanden hast und daher tatsächlich glaubst, dieser Link wäre die Antwort. Oder ob du denkst, ich wüsste es nicht oder würde auf deinen Versuch reinfallen. Oder willst du mich einfach auf den Arm nehmen?
Falls es am Verständnis liegt: wenn nach den anderen Beiträgen zu dem Thema noch Unklarheiten bestehen, beantworte ich die gerne.