Der Zeugnisspruch ist ein wichtiger Bestandteil der Waldorfpädagogik. In den Klassen 2 – 8 bekommen alle Schüler*innen mit dem Zeugnis des Vorjahres einen von der*m Klassenlehrer*in ausgesuchten Spruch. Dieser soll zum Kind passen und einen Bezug zu dessen persönlicher Entwicklung, Charakter und/oder Herausforderungen haben. Dieser Spruch muss in der Regel über die Sommerferien auswendig gelernt werden. Jeden Tag nach dem gemeinsamen Morgenspruch sagen dann einige Schüler*innen ihren eigenen Zeugnisspruch frei vor der gesamten Klasse auf. Meist an dem Wochentag, an dem man geboren wurde. Wochenendkinder sind meist mit am Freitag oder Montag dran. Man sagt seinen eigenen Spruch also einmal die Woche auf und hört jeden Tag die immer gleichen Sprüche der Mitschüler*innen. Häufig haben Lehrkräfte eine bestimmte Vorstellung, wie ein Spruch aufgesagt werden soll (Betonung, fließend, kein Stottern etc.). Je nach Klassenlehrer*in kann der Zeugnisspruch so von einer alltäglichen, und manchmal nervigen, Aufgabe zu einer richtigen Tortur werden. Viele ehemalige Waldorfschüler*innen berichten, dass der Zeugnisspruch große Ängste ausgelöst und zu Beschämung geführt hat. Den meisten war auch klar, dass und was ein Spruch inhaltlich mit der Person zu tun hat, was Hänseleien bis Mobbing verstärken kann. In dem Waldorfmagazin „Erziehungskunst“ werden Zeugnissprüche von einem Lehrer als „die artigste Versuchung, seit es Selbsterkenntnis gibt“ bezeichnet. Aus meiner Sicht ist der Zeugnisspruch per Design ein problematisches Element der Waldorfpädagogik.
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