Im Kontext meiner Anthroposophie Kritik und meinen eigenen Erfahrungsberichten taucht bei mir immer wieder die Frage auf: „Darf ich das eigentlich?“.
Dieser Artikel basiert auf einem Instagram Beitrag bzw. Bluesky Beitrag vom 17.06.2024 und ergänzenden Gedanken von heute.
Text Juni 2024
„Darf ich das?“
Wird diese Frage jemals aufhören?
Darf ich die Anthroposophie kritisieren?
Darf ich anthroposophische Texte auseinander nehmen und kritisieren?
Darf ich auf problematische Inhalte aufmerksam machen?
Die Antwort auf all diese Fragen ist natürlich ein klares „Ja“. Das weiß ich. Und würde mich eine andere Person fragen, ob sie die Strukturen und Institutionen kritisieren darf, die ihr geschadet haben, wäre meine Antwort auch ein klares ja. Was ist also das Problem?
Immer wieder, relativ unvorhersehbar und unberechenbar, tauchen diese Fragen auf. Wenn ich einen Anthroposophie-kritischen Text schreibe.
Wenn ich an meinem Blog arbeite.
Wenn ich drüber nachdenke welche Themen ich mir als nächstes vornehmen möchte.
Wenn ich auf Social Media einen Rant gepostet habe.
Sie tauchen aus dem Nichts auf, gerne dann, wenn ich meine Kritik besonders wichtig finde oder besonders klar formuliert habe. Diese Fragen nagen an meinem Inneren. An meinem Selbstbewusstsein bezüglich meiner Anthroposophie Kritik. Verunsichern mich. Sorgen für Selbstzweifel. Kurz: sie schwächen mich und meine Kritik.
Und genau dafür sind sie da. Sie wurden in meiner Kindheit gesät, fürsorglich gepflegt und sind daher heute stark und nicht so leicht klein zu bekommen. Sie sind da, um die Anthroposophie und ihre Institutionen und Strukturen zu beschützen. Kritik an der Anthroposophie, insbesondere wenn sie von innen kommt, ist eine Gefahr. Und eine Person als schlechten Menschen oder wertlos zu labeln wenn diese Kritik übt, schützt die Anthroposophie.
Nestbeschmutzer.
Schlechter Mensch.
Verräter.
Ich fühle all das. OBWOHL ich vom Kopf her weiß, woher es kommt und dass es gefährlicher Mist ist der nicht der Realität entspricht. Ich fühle es. Weil es eine immer präsente Erzählung aus meiner Kindheit und Jugend ist. Weil früher die Gefahr des verstoßen Werdens noch viel bedrohlicher war.
Ich fühle all das. Auf einer ganz tiefen und existenziellen Ebene.
Ich fühle all das. Aber ich weiß heute, was es ist.
Ich fühle all das. Und ich schreibe dagegen an.
Ich schreibe, obwohl jeder Satz laut altem Denkmuster ein Beweis dafür ist, dass ich ein schlechter Mensch bin.
Gedanken Januar 2025
Den obigen Text habe ich kurz vor Veröffentlichung dieses Blogs geschrieben. Also in einer Situation in der ich die Art meiner Anthroposophie Kritik und deren Ort in Teilen verändert habe. Ich schreibe bereits seit Frühjahr 2022 auf meinen Social Media Accounts (anfangs vor allem Instagram) über meine eigenen Erfahrungen und meine Kritik an der Anthroposophie. Diesen Raum habe ich erstmals im November 2023 verlassen, als ich dem Tagesspiegel ein Interview gegeben habe. Auch damals habe ich mich viel gefragt: Darf ich das? Was darf ich? Welche Sachen darf ich erzählen? Wer bekommt es mit? Will ich das?
Aktuell bin ich wieder in der Situation, dass sich einiges verändern wird, ich gefühlt den bisher für mich einigermaßen handhabbaren Raum verlassen werde. Und ich merke: es kommen wieder Fragen, jedoch andere. Aktuell frage ich mich vor allem: Darf ich meine Anthroposophie Kritik komplett nach meinen Fähigkeiten, Ideen und Bedürfnissen ausrichten? Darf ich das fokussieren, was mir liegt und mir entspricht? Darf ich andere Dinge vernachlässigen?
Ich merke, dass ich mit diesen Fragen weniger in dem „Nestbeschmutzer“-Vorwurfs-Kreislauf drin bin. Dass die aktuellen Fragen weniger eine direkte Reaktion auf die Unmöglichkeit jeglicher Kritik von früher sind. Stattdessen mehr mit meiner Zukunft, mir als Person und meinen Ansprüchen, Fähigkeiten und Wünschen. Im Sommer war es noch mehr ein „raus aus der Vergangenheit“. Heute eher ein „rein in die Zukunft“. Jetzt wo ich das aufschreibe, wird mir klar, wie viel Entwicklung dazwischen liegt. Wie viele Ängste ich losgelassen habe. Wie viel mehr ich bei mir bin. Und dass das nicht automatisch leicht(er) ist. Und auch das hat in Teilen mit meinen Erfahrungen im anthroposophischen Kontext zu tun. Mit dem mich anpassen müssen, einer bestimmten Vorstellung entsprechen müssen und nicht ich selbst sein dürfen.
Diese Entwicklung macht den alten Text, die alten Fragen und die alten Ängste nicht weniger richtig und relevant. Das alles ist immer noch da. Es ist aber ein bisschen weniger wichtig geworden und vor allem sind neue Dinge dazu gekommen.
Für mich zeigt das wieder einmal: der Ausstieg aus einer problematischen Gemeinschaft und Weltanschauung ist (für mich) ein Prozess (darüber habe ich schon in Meine Anthroposophie-, Waldorf- und Esoterik-Vergangenheit Teil 2 geschrieben). Ich bin ausgestiegen. Und steige weiter aus. Mit jedem Text den ich schreibe. Mit jeder Recherche und jeder Planung von neuen Inhalten. Für mich ist der Ausstieg nichts Einmaliges. Mein Ausstieg ist zu einem kontinuierlichen Tun geworden.